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teilgenommen, was sie politisch sehr geprägt hat. Sie schnitt sich die
Haare kurz und fing an, als modisches Statement Krawatten zu tra-
gen. Dora ist von Natur aus sehr hübsch, sodass selbst ein schlechtes
Styling gut an ihr aussieht.
Ich stand damals auf Barbies. Ich besaß eine Sammlung von fün-
fundzwanzig Puppen und außerdem ein Barbie-Haus, einen Barbie-
Lieferwagen, ein Barbie-Auto, unzählige Behältnisse für Barbie-
Kleider und eine tragbare Barbie-Kleiderkammer. Stundenlang saß
ich in meinem Zimmer und spielte damit. Alle Puppen hatten ihre ei-
gene Geschichte und sie hatten viel miteinander erlebt. Oft ging es in
ihren Gesprächen darum, dass es zu wenig Kens gab.
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Zu Weihnachten schenkten mir meine Eltern drei neue Barbies.
Eine war ein Strandmädchen, das mit den Füßen in Flipflops schlüp-
fen konnte und vier verschiedene Badeanzüge hatte. Die zweite trug
Ballkleider und ging in die Oper. Sie war mit einem Opernglas und
mit einer Nerzstola ausgestattet. Die dritte Barbie war eine
Geschäftsfrau im Hosenanzug. Sie kam mit Schreibtisch und Büros-
tuhl. Als wir am Weihnachtsmorgen unsere Geschenke ausgepackt
hatten, gingen Dora und ich in mein Zimmer.
Dora hatte sich zu Weihnachten nur Bücher gewünscht. Sie konnte
ihre Geschenke also übereinanderstapeln. Ich hatte meine neuen
Barbies auf meinem Bett abgelegt. »Schau genau hin, Celia!«, sagte
Dora und zeigte auf den Berg aus Kunsthaar und Plastikkörpern.
»Schau, wie die Gesellschaft ihren Kindern Geschlechterstereotypen
aufzwingt!«
Ich schaute hin. Und ich sah nur Barbies.
»Wenn du ein Junge wärst, dann hätten sie dir einen
Spielzeuglaster und eine Rennbahn geschenkt. Aber du bist ein Mäd-
chen und deshalb gehen sie davon aus, dass du ein Puppenhaus
magst und dass du gern mit Puppen spielst und sie an- und
ausziehst.«
»Aber ich spiele wirklich gern mit & «, versuchte ich zu sagen, aber
Dora unterbrach mich.
»Celia, ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns positionieren«, erklärte
sie und beschloss, dass wir alle Barbies, die alten genau wie die
neuen, in einer Schachtel ganz hinten in meinem Schrank verstauten.
(Eigentlich wollte sie, dass wir sie zusammenpackten und verschenk-
ten, aber ich konnte sie noch auf den Schrank herunterhandeln.) Es
war echt viel verlangt, vor allem, weil ein Teil der Barbies nagelneu
war, aber Dora schien diese Sache sehr wichtig zu sein, und sie war
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die einzige Verwandte, die wenigstens annähernd so alt war wie ich.
Sie wirkte auf mich so viel klüger, dass ich nachgab.
Am Abend zum Weihnachtsessen trugen wir beide dann Klamot-
ten, die sie für »geschlechtsneutral« hielt, also eine Jeans und ein
weißes T-Shirt. Meine Mutter hatte Braten und Kartoffelpüree
gekocht. Als frisch erklärte Vegetarierin aß Dora aber nur ein
getoastetes Käse-Sandwich und ein paar Karottensticks. Sie sah mich
immer wieder eindringlich an und stupste mich schließlich unter
dem Tisch.
»Ich hab s mir überlegt«, verkündete ich. Die ganze Familie starrte
mich an, als ich zu meiner Erklärung anhob, die wir zusammen geübt
hatten. »Ich habe beschlossen, dass ich nicht mehr mit Barbies
spielen möchte.« Ich versuchte, überzeugt zu klingen.
Die Erwachsenen am Tisch warfen sich besorgte Blicke zu. Mein
Onkel stieß einen unüberhörbaren tiefen Seufzer aus und schob sich
eine Gabel Kartoffelpüree in den Mund. Meine Tante sah ihn einen
Moment lang an. Dann sah sie zu meinen Eltern. Meine Mutter er-
widerte ihren Blick, als würden sie telepathisch kommunizieren.
Die Luft im Raum war dick wie Schokoladensirup. Als Kind hat
man oft das Gefühl, dass die Erwachsenen ein großes Geheimnis
miteinander teilen. Und deshalb führen sie sich manchmal ziemlich
komisch auf, obwohl es keinen echten Anlass gibt. Mir war klar, dass
ich etwas Entscheidendes gesagt hatte, aber eigentlich wusste ich
nicht, was.
»Also gut, Celia«, sagte mein Vater mit einer Stimme, die seiner
Rolle als Familienoberhaupt gerecht wurde. »In Ordnung. Wir wer-
den dir keine Puppen mehr kaufen. Gibt es etwas anderes, das du
stattdessen gerne hättest?«
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Mein Vater war extrem freundlich, als er das sagte. Er schien über-
haupt nicht verärgert darüber zu sein, dass er mir gerade drei Barbies
geschenkt hatte, die ich plötzlich nicht mehr wollte.
Jetzt wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte eine politische
Erklärung darüber abgegeben, dass ich nicht mehr mit Puppen
spielen würde, aber ich wusste nicht, womit ich sonst spielen sollte.
Ich sah Dora an, aber sie wich meinem Blick aus. Sie biss in ihr Sand-
wich und tat ganz unschuldig.
»Ähm«, sagte ich und suchte verzweifelt nach Worten. »Eine Ren-
nbahn?«, murmelte ich schließlich.
Mein Onkel lachte laut auf. Dabei spuckte er sogar ein bisschen
Kartoffelpüree auf den Tisch. Mit einem Blick brachte meine Tante
ihn zum Schweigen. »Na fein, Celia, ich kaufe dir gern eine Renn-
bahn«, sagte sie.
»Ja, mein kleiner Maikäfer«, stimmte meine Mutter zu. »Wir
kaufen dir genau das Spielzeug, das du gerne haben möchtest.«
Und dann standen sie und meine Tante auf und fingen an, den
Tisch abzuräumen.
Am nächsten Tag flog Dora zurück nach Oregon und ich holte die
Schachtel wieder aus dem Schrank. Meine Eltern sprachen nie mehr
darüber und zu meinem nächsten Geburtstag schenkten sie mir ein
Barbie-Cabrio.
22
Man braucht nur einen einzigen Freund und plötzlich ist an einem
Wochenende alles möglich. Am Samstagmorgen aß ich zum Früh-
stück meine Cornflakes und las in meinem Regenwürmerbuch.
Meine Mutter war bereits zur Arbeit im Krankenhaus.
***
»Oh, hallo, Liebes«, sagte die Frau, die bei Drake zu Hause die Tür
öffnete. »Du musst Cecilia sein.« Drakes Großmutter trug eine
schwarze Hose und eine schwarze Seidenbluse. Ein schmaler gelber
Schal lag um ihren Hals und reichte bis über ihre Taille. Sie war an-
ders als alle Großmütter, die ich je gesehen hatte. Die Mutter meiner
Mom ist gestorben, als ich noch klein war, und die Mutter meines
Dad trug immer Kleidung mit Motiven der Jahreszeit. Sie besaß zum
Beispiel eine beeindruckende Sammlung von Pullovern mit
Schneemännern.
»Äh & ich heiße Celia«, sagte ich schüchtern.
»Ach ja, natürlich.« Sie nahm mich an der Hand und zog mich ins
Haus. »Hast du Hunger?«
»Ich habe zu Hause Cornflakes gegessen.«
Das Haus war blitzblank, aber trotzdem gemütlich. Ihr Einrich-
tungsgeschmack war offenbar in einer Zeit stehen geblieben, als lind-
grüne Sofas und Lampenschirme mit Fransen in Mode waren. Der
Teppich im Wohnzimmer war so dick, dass ich es für ausgeschlossen
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hielt, auch nur einen Schritt darauf zu hören, und sei es von einem
dicken Mann mit schweren Stiefeln. Auf jeder Oberfläche stand ein
Kristallgefäß mit allerlei Bonbons.
»Ich bin so froh, dass Drake hier in Hershey eine Freundin gefun-
den hat. Er braucht doch jemanden, mit dem er seine Zeit verbringen
kann nicht nur mit einer alten Dame, was?« Sie stieß mich mit dem
Ellbogen in die Seite, als hätte sie einen Witz gemacht. Dann sah sie
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